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Mehr Wissen durch kooperatives Lernen? Eine empirische Studie

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ResearchBlogging.org

Der Gastbeitrag von Sina Müller fasst eine empirische Studie zusammen, die den Erfolg eines kooperative Lernszenarios (Gruppenpuzzle) mit klassischem Frontaluntericht vergleicht.

Durch den Besuch des Seminars „Kooperatives Lernen: Lernen in Gruppen“ erhielt ich die Möglichkeit, mich eingehend mit einer Studie von Hänze und Berger zu beschäftigen, die sich nicht nur mit dem Lernerfolg per se („wie viel Informationen hat der Schüler tatsächlich dazugewonnen/behalten“) befasst, sondern auch untersucht, ob es Persönlichkeitsvariablen gibt, die beeinflussen, ob Gruppenarbeit (speziell die Gruppenpuzzlemethode) für eine Person effektiv ist.

Den Schwerpunkt der Studie von Hänze und Berger bildeten folgende 3 Punkte:

  1. Wie effektiv ist die Gruppenpuzzlemethode im Klassenzimmer-setting im Vergleich zur traditionellen Instruktionsmethode?
  2. Welche Lernprozesse finden statt und wie hängen diese mit mediierenden Variablen zusammen?
  3. Wie effektiv ist die Gruppenpuzzlemethode/die traditionelle Instruktion unter Berücksichtigung der individuellen Lerncharakteristik des einzelnen Schülers?

Unter der Gruppenpuzzlemethode versteht man eine Form des kooperativen Lernen, bei der das zu lernende Material in mehrere Segmente unterteilt ist. Zwischen 3 bis 5 Schüler finden sich in einer Gruppe zusammen, wobei jeder der Schüler dafür verantwortlich ist, ein anderes Segment zu bearbeiten. Die Schüler der unterschiedlichen Gruppe, die das gleiche Segment bearbeiten, kommen in einer „Expertengruppe“ zusammen, klären offene Fragen und besprechen wie sie den Klassenkameraden in der Ursprungsgruppe das Material näher bringen wollen. Danach treffen sich alle Schüler wieder in ihren ursprünglichen Gruppen und bringen den anderen Schülern bei, was sie sich in der Expertengruppe erarbeitet haben.

Die Autoren – einer davon Physiker – entwickelten zwei Gruppenpuzzle, deren Erfolg auf die Lernleistung, das Kompetenz- und Autonomiegefühl, das „Sich-Eingebunden-Fühlen“, das „Deep-Level“-Lernen und die intrinsische Motivation der Schüler im Vergleich zu einer traditionellen Instruktionsmethode erfasst werden sollte. Unter der traditionellen Instruktionsmethode wird in diesem Fall die Unterrichtsform verstanden, bei der der Lehrer der Klasse den Stoff direkt vermittelt, ohne dass dabei kooperative Lernformen eine Rolle spielen.

Hänze und Berger verwendeten einen Persönlichkeitsfragebogen, ein Lernerfahrungsinstrument und einen Test, der die akademische Leistung überprüfte.

Bezugnehmend auf die oben genannten Forschungsziele zeigten sich folgende Ergebnisse:

  1. Die Gruppenpuzzlemethode ist im Vergleich zur traditionellen Instruktion durchaus erfolgreich, was das Kompetenzgefühl, das Autonomiegefühl und das Gefühl des „Eingebunden-seins“ der Schüler betrifft. Durch den Zusammenschluss in Expertengruppen und die Spezialisierung auf ein bestimmtes Thema, haben selbst schwächere Schüler, mit gering ausgeprägtem akademischem Selbstkonzept die Möglichkeit sich kompetent zu fühlen, da sie ihren Kameraden in einem bestimmten Bereich mehr Informationen voraus haben. Die Schüler fühlen sich in der kooperativen Lernmethode autonomer, da sie den Lernprozess so strukturieren können, wie es ihnen angemessen scheint. Nicht zu vernachlässigen ist auch, dass die Schüler in der Gruppenpuzzlemethode die Möglichkeit haben sich in einer Gruppe Gleichaltriger zu engagieren, Empathie zu erlernen und zu zeigen und sich als wichtiger Teil eines Ganzen wahrzunehmen. Wie die Ergebnisse zeigen konnten, fördern all diese Punkte die intrinsische Motivation – also das Streben nach Wissen aus Eigenmotivation und nicht ausgelöst durch externe Anreize. Durch diese Form der Motivation wird das Gelernte stärker elaboriert, besser gemerkt und insgesamt „tiefer“ verarbeitet. Trotz all dieser positiven Aspekte, konnte die Studie keinen Vorteil für akademische Leistung im Gruppenpuzzleverfahren finden – im Gegenteil. Die Schüler zeigten bessere Leistungen im akademischen Leistungstest, wenn sie das Material über die traditionelle Instruktion direkt vom Lehrer vermittelt bekommen hatten, als wenn ihnen Gleichaltrige ihr jeweiliges „Expertensegment“ nahe brachten.
  2. Kompetenz, Autonomie und „Eingebunden-fühlen“ wirken als mediierende Variablen zwischen der Art der Instruktion und den 3 Variablen intrinsische Motivation, „Deep-Level“-Lernen und akademischer Leistung. Sich kompetent und autonom zu fühlen, trägt genau wie das Gefühl des „eingebunden-seins“ in eine Gruppe in wesentlichem Maße dazu bei, wie intrinsisch motiviert die Schüler sind, wie tief sie das gelernte verarbeiten und welche Leistungen sie erbringen.
  3. Die Autoren beschäftigten sich mit dem Zusammenhang zwischen Unsicherheitsorientierung und der Art der Instruktion. Hierbei unterscheiden sie unsicherheitsorientierte und sicherheitsorientierte Menschen. Unsicherheitsorientierte empfinden Lernsituationen, die komplex sind, bei denen die Aufgabe nicht ganz klar ist, oder wenn Informationen fehlen eher als spannend und motivierend als Sicherheitsorientierte. Sicherheitsorientierte Menschen beschäftigen sich eher mit Themen, die sie bereits bearbeitet haben und vertiefen diese. Sie fühlen sich durch unklare Aufgaben und fehlende Informationen eher verunsichert. In der vorliegenden Studie konnte jedoch kein Zusammenhang zwischen Unsicherheitsorientierung und Instruktionsmethode gefunden werden. Die Autoren schlossen daraus, dass es von großer Wichtigkeit ist, dass das Lehrmaterial und die Methode an sich beim Gruppenpuzzle nicht zu sehr strukturiert wird, da sonst die Motivation und das Interesse bei Unsicherheitsorientierten sinkt.

Obwohl besonders im deutschen Schulsystem in erster Linie der Leistungszuwachs im Vordergrund steht und in der vorliegenden Studie ein solcher in Zusammenhang mit kooperativen Lernmethoden nicht gefunden werden konnte, liefert die Untersuchung meines Erachtens nach wichtige Befunde. Insbesondere der Befund, dass das Kompetenzgefühl – welches in der Gruppenpuzzlemethode deutlich stärker gefördert wird als in der traditionellen Instruktion – von großer Wichtigkeit für das akademische Selbstkonzept der Schüler ist, sollte nicht unterschätzt werden. Auch wenn Kompetenzgefühl in dieser Studie nicht dazu beigetragen hat, die akademische Leistung zu verbessern, denke ich, dass langfristig durchaus Leistungsverbesserungen durch den Einsatz kooperativer Lernmethoden zu erwarten sind. Eine längsschnittliche Untersuchung der Wirkung der Gruppenpuzzlemethode wäre zwar methodisch sehr aufwändig, könnte aber Erkenntnisse liefern, die das Querschnitt-Design dieser Studie nicht zulässt. Selbst wenn die Gruppenpuzzlemethode in Hinblick auf die Leistung der Schüler keinen Vorteil gegenüber der traditionellen Instruktion hervorbringen kann, bin ich doch der Meinung, dass die Methode eine Chance bietet, die Schüler in Bereichen zu schulen, die sonst im Schulkontext oft zu kurz kommen. Was nützt auch dem leistungsstärksten Abiturient all sein Wissen, wenn er nie gelernt hat sich auf die Arbeit mit anderen einzulassen, auch mal für den gemeinsamen Ziel zurück zu stecken und empathisch auf andere einzugehen. Im Zuge der Umstrukturierung der gymnasialen Oberstufe und der Umstellung auf das achtjährige Gymnasium und dem damit verbundenen erhöhten Leistungsdruck unter den Schülern, könnten kooperative Lernformen dazu beitragen, dass einen gut „geschulten“ Menschen mehr ausmacht als akademische Leistung.

HANZE, M., & BERGER, R. (2007). Cooperative learning, motivational effects, and student characteristics: An experimental study comparing cooperative learning and direct instruction in 12th grade physics classes Learning and Instruction, 17 (1), 29-41 DOI: 10.1016/j.learninstruc.2006.11.004


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